Strategische Planung in Württemberg

Bei der Herbsttagung 2021 der württembergischen Landessynode wurde die strategische Planung der Landeskirche diskutiert. Das Gesprächskreisvotum der OFFENEN KIRCHE zu diesem Tagesordnungspunkt wurde von Hans Probst gehalten.

"Weniger ist mehr: Sie haben durch Ihren Bericht einen zweiten Aufschlag uns unterbreitet, für den ich herzlich danke. Sie geben Impulse, worauf wir uns in der Landeskirche konzentrieren sollen, um größere Wirkung zu erzielen. Da lege ich gerne von Seiten der OK dazu:

Ich bin dankbar für das nachdenkliche Ringen um eine Theologie für diese Zeit: weniger selbstüberzeugte und triumphalistische Macht-Theologie, mehr aneckende und ansteckende Kreuzestheologie: Gott an der Seite der Schwachen zu denken; in Hoffnungsbildern unterwegs zu sein; anzustiften von der Hoffnung auf eine gerechtere, eine zivilere, eine friedlichere Welt – mehr davon! „Ressourcen dorthin lenken, wo wir nach außen hin sichtbar werden“ (FAZ Kommentar).

Trotz der Mitgliederverluste muss es dann nicht zwangsläufig zu Frustration, Resignation führen; wir müssen in keine Untergangsstimmung geraten, ängstlich werden. Denn, wir haben etwas vor mit dieser Botschaft des Kreuzes. Wir wollen in diesem Licht die Welt gestalten und werden diese Botschaft auch in einer kommenden Minderheitensituation nicht verstecken. Da wünschen wir uns: Mutig zu sein; eine nachdenkliche, milieusensible Seelsorge an dieser Gesellschaft zu leisten, sich nicht selbstgefällig ins kirchliche Schneckenhaus zurückziehen; zu fragen: wenn Salz der Erde, was ist dann eigentlich die Substanz Salz im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext?

Zum Organisatorischen in Ihrem Bericht: Ausgangspunkt ist die Prognose, dass die Landeskirche kleiner wird. Sie benennen die Vielzahl an landeskirchlichen Projekten, die keine nachhaltigen Impulse setzen konnten. Auch die landeskirchlich unterstützte Evangelisationsarbeit fruchtet eben nicht in gewünschter Konsequenz. Uns laufen weiterhin Menschen davon. Die Kirchenaustritte sind für viele Ehrenamtliche wie Hauptamtliche Enttäuschungen, Kränkungen.

Was heißt das für die Kirchenleitung? Hier nicht Schuld oder die Verantwortung für einen gesellschaftlichen Trend auf den Einzelnen zu übertragen. Sondern trotz Kirchenaustritte die vielfältige Gesellschaft als einen Gewinn zu beschreiben. Migration und Religionsvielfalt als Verheißung anzunehmen. Ja, jeder Kirchenaustritt schmerzt. Aber für uns in der OK ist klar: wir sollten uns weniger mit uns selbst beschäftigen, weniger durch Bilder von abstürzenden Heißluftballons in der Breite der Kirche massive Verunsicherung und Entfremdung erzeugen. Sondern durch Bilder der Hoffnung unseren Pfarrer*innen und unseren Kirchenmitgliedern signalisieren: wir sehen den gesellschaftlichen Wandel als Gewinn; wir werden als Kirche solidarisch an deren Seite stehen, die angefeindet werden; wir entwickeln Formen der Spiritualität, die zeitgemäß sind und keinen Ausverkauf von Theologie bedeuten; wir sind ein Ort der vielfältigen Heimaten.

Auf drei Organisationsziele möchte ich eingehen:

Zunächst auf die Art und Weise der Kommunikation in dieser Kirche. Für alle Bemühungen zu mehr Austausch bin ich im Namen der OK dankbar und sehe diese als Schritte in eine richtige Richtung.

Aber machen wir uns nichts vor: Kommunikation kann innerhalb einer hierarchischen Organisation nur dann gelingen, wenn Machtkonstellationen verändert werden. Und leider ist die Wahrnehmung von Kirche: Sie ist geprägt von starken und destruktiven Machtgefällen. Jede Anstrengung, Kommunikationsprozesse zu verbessern, wird aber konterkariert, wenn die Kirchenleitung als „am längeren Hebel sitzend“ wahrgenommen wird. Ist also die Frage „Wie reden wir miteinander?“ doch nur ein Teilaspekt? Vielmehr geht es eben um die Positionen der Kommunikation. Wenn ich beispielsweise sehe, dass einem Kirchengemeinderat die Mitgliedschaft in einem lokalen Bündnis gegen Rechtsextremismus aus dem OKR verwehrt wird: dann macht das 100 nette Kommunikationsformen kaputt. Dann ist die Logik der Asymmetrie von Amts- und Ortskirche in den Köpfen der Kirchenmitglieder und Ehrenamtlichen zementiert.

Nicht zuletzt daher, wird die OFFENE KIRCHE einen Diskussionsprozess über Änderungen zur landeskirchlichen Verfassung einbringen. Hin zu mehr Zutrauen in die Kirchengemeinden; zu mehr Demokratie; zu mehr Subsidiarität!

Zweitens in Kürze: Die OK steht für ein Mehr an engen Kooperationen mit Baden; wir sind offen und bereit, Debatten bis hin zur Fusion beider Landeskirchen zu führen.

Drittens: Die Landeskirche auf dem Weg hin zur Klimaneutralität 2035.

Der Kampf für eine lebenswerte Welt ist ein theologisches, ein biblisches, es ist ein kirchliches Thema. Und die Klimakrise ist real, sie kann auch uns massiv und vernichtend treffen: das zeigen uns die Fluten im Ahrtal und der Ruhr.

Es ist mittlerweile politischer Konsens, dass es einen Paradigmenwechsel für das 1,5 Gradziel braucht. Doch Glasgow macht deutlich: auf politische Entscheidungen dürfen wir uns nicht verlassen. Zu lange wurde vom Gesetzgeber durch angebliche Notwendigkeiten, ökonomische Zwänge herausgeschoben, gezögert. Und das hat nun dazu geführt, was Sie als Klimaangst beschreiben: Es ist die Angst, die schiere Verzweiflung, die insbesondere in der nachkommenden Generation präsent ist. Angst, die doch Ausdruck eines Vertrauensverlustes in die Politik ist. Daher braucht es die starken, vernetzten Zivilgesellschaften: Unternehmen, NGOs und eben auch Kirchen, die in einer Vielstimmigkeit sich für die gesellschaftliche Transformation stark machen. Als Kirche werden wir niemals nur an unseren Worten, sondern eben immer auch an unseren Früchten gemessen. Deshalb braucht es verbindliche und verantwortungsvolle Regeln für die gesamte Landeskirche.

Auf eine Ihrer Einschätzungen zu dieser Frage möchte ich problematisierend eingehen:

  1. Sie sagten: Um sich Kirchliche Botschaft müsse es auch sein, auf das rettende Handeln Gottes vor der Klimakatastrophe zu verweisen. Ich frage mich: Stehen diese Bilder vom rettenden Gott  zu dem was Sie richtiger Weise fordern: nämlich alles in unserer menschlichen Macht stehende zu unternehmen, um auf das 1,5 Grad Ziel hinzuarbeiten. Wenn wir theologisch in dieser Frage argumentieren, dann um Menschen die von Gott übertragene Verantwortung für diese Welt zuzusprechen. Oder: Dass wir in prophetischer Tradition zu radikaler Umkehr aufrufen. So können wir gegen den zweifachen Fatalismus predigen, den ich in Teilen der Klimabewegung, aber auch unter Christ*innen wahrnehme: entweder: „das wird sowieso nichts werden – wir werden scheitern und sind hoffnungslos!“ (unter Klimaaktivist*innen) Oder (und diese Sicht sehe ich v.a. im Bereich des christlichen Wortfundamentalismus): „Wir als Menschen haben es nicht in der Hand, Gott rettet doch diese Welt. Wir steuern auf die letzten Tage zu.“

Beiden: der hoffnungslosen wie der apokalyptischen Deutung gilt es zu widersprechen. In der Debatte um die Klimakrise halte ich geschichtstheologische Bilder für fragwürdig. Es braucht die Ermutigung des Menschen zur Umkehr: Er ist wohl noch in der Lage, das, was er selbst im Industriezeitalter erzeugt hat, wieder einzuhegen.

Abschließend: Danke für die Zusage des OKR, dass wir an einem Strang ziehen, um so zügig wie möglich Treibhausgase massiv zu reduzieren. Ja, es braucht mehr Lösungen als nur finanzielle Mittel. Elemente der Verkündigung, der Bildungsarbeit und des Nachdenkens über den Immobilienbestand. Sie sagen zurecht: wenn wir jetzt nicht handeln, kommen die immensen Kosten trotzdem auf uns zu. Ja, es wird eine enorme Kraftanstrengung werden; wir werden dafür viel Geld aufbringen müssen.

Nichts ist alternativlos, aber wenn wir weiter zögerlich sind, wenn wir nicht vorausschauend handeln, wird es uns auf die Füße fallen. Dann werden wir unserer Verantwortung den Gemeinden gegenüber nicht gerecht.

Deshalb: weniger verzagt, ist mehr mutig gemeinsam voran!"

Synodaler Hans Probst, 26.11.2021