Macht Wirtschaft!

Ökonomie ist kein Hexenwerk. Der langjährige Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum, Wolfgang Kessler, hat eine Art Lehrbuch geschrieben: In sechs Kapiteln, die er "Streitfelder" nennt, beschreibt er sachkundig ökonomische Grundlagen, die er durchaus für veränderbar hält. Eine Buchbesprechung von Wolfgang Wagner

Buchbesprechung zu Wolfgang Kessler: Macht Wirtschaft! Ökonomie verstehen – und verändern
Mit einem Vorwort von Heribert Prantl
Publik-Forum Verlagsgesellschaft Oberursel 2021.189 S., 20 €

Der langjährige Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum, bekannt durch sachkundige kritische Kommentare zur gegenwärtigen Ökonomie, hat ein unter dem durchaus doppeldeutigen Titel "Macht Wirtschaft!" eine Art Lehrbuch geschrieben, das nicht nur die Bedeutung der Wirtschaftsprozesse für alle Aspekte unseres Lebens verdeutlicht, sondern auch zum verantwortlichen Mitmachen einlädt. Er geht von der Beobachtung aus, dass nicht nur in kirchlichen Kreisen viele Leute sich von Wirtschaftsfragen überfordert fühlen. Ihnen wird eine solide Hilfe geboten.
In sechs Kapiteln, die er „Streitfelder“ nennt, weil es meistens nicht nur eine Lehrmeinung gibt, beschreibt er sachkundig ökonomische Grundlagen, die er durchaus für veränderbar hält.

1. Im Streitfeld "Markt und Staat" verteidigt er die soziale Marktwirtschaft, deren Entwicklung durch liberale Globalisierung bedroht ist. Seine Sympathie gilt darum "Alternativen im Kapitalismus", die er im "Aufbau nicht-kapitalistischer Elemente im herrschenden System" sieht. Das können staatliche Unternehmen sein, die einen Gemeinwohlauftrag verfolgen oder Genossenschaften, die nicht für höchstmögliche Gewinne wirtschaften, sondern für ihre Mitglieder. Sie müssen allerdings gegen rein renditeorientierte Unternehmen am Markt konkurrieren.

2. "Wachstum und Klima" ist derzeit ständig in der Diskussion. Unbestritten ist: "Ein wirtschaftliches Wachstum, das auf dem Verbrauch von fossilen Ressourcen beruht, ist eine der wichtigsten Ursachen der Klima- und Umweltkrise." Kessler untersucht Alternativen zum gegenwärtigen Konzept des Wohlstands mit dem Maßstab des Bruttoinlandsprodukts. Der Nationale Wohlfahrtsindex, der vom Bundesumweltamt gemessen wird, berücksichtigt auch die ökologischen und sozialen Begleiterscheinungen der Wertschöpfung. Noch befindet sich die Weltwirtschaft auf radikalem Wachstumskurs, noch finden sich Alternativen nur in Ergänzungen zum Bestehenden, aber das politische Umfeld könnte sich ändern.

3. Die Zukunft der Arbeit ist seit langem besonders umstritten. Darum ist es kein Wunder, das der Autor eine Fülle sehr verschiedener Probleme kurz anspricht: "Work-Life-Balance", Arbeitslosigkeit, Lohnentwicklung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Rente, Altersarmut, Steuern und das bedingungslose Grundeinkommen. Fast klingt es resignativ: "In Zeiten globaler Konkurrenz und ständiger technischer Veränderungen ist die Bekämpfung der Erwerbslosigkeit eine komplexe Aufgabe. Zum Erfolg führen weniger Patentrezepte, sondern eine Kombination differenzierter Maßnahmen, die auf den Bedarf des Arbeitsmarktes ebenso Rücksicht nehmen wie auf die Bedürfnisse der Erwerbslosen. Dies gilt umso mehr, als sich die industriellen Volkswirtschaften gerade in einer neuen technischen Revolution befinden."

4. Am wenigsten versteht man wohl die Geldpolitik mit ihrem Spekulationspotential. Man kennt sein Bargeld, das insgesamt mit 1320 Milliarden Euro im Umlauf ist und doch nur ein Zehntel des Geldbestandes ausmacht. Selbst wer den Wirtschaftsteil seiner Zeitung nicht gleich weglegt, resigniert angesichts des "Buchgelds", das durch Geschäftsbanken "geschöpft" von Konto zu Konto wandert. Dazu kommen diverse "Finanzprodukte", die selbst Bankberater oft nicht mehr verstehen. Inflation, Staatsschulden, Finanzkrise ängstigen den Bürger, der noch immer für seine Zukunft vorsorgen möchte, aber kaum Zinsen für sein gespartes Geld bekommt. Das herrschende Weltfinanzsystem gilt als labil, die Angst vor einem Crash grassiert. Die möglichen Alternativen wie das "Vollgeld" bleiben umstritten.

5. Die stürmisch sich entwickelnde Globalisierung ist auch von Fachleuten noch nicht umfassend begriffen. Kein Wunder also, dass sich Verschwörungsmythen ausbreiten. Kessler setzt solide Aufklärung dagegen und analysiert Gewinne und Risiken. Er wünscht sich eine "Glokalisierung", eine "Kombination aus einer offenen Weltwirtschaft bei gleichzeitiger Stärkung nationaler, lokaler und regionaler Produktions- und Wirtschaftskreisläufe."

6. Wer diese fünf Kapitel studiert hat, hat viel von der Ökonomie verstanden, aber weniger über Veränderungen erfahren. Im Streitfeld "Zukunft" werden nun noch je zehn politische Impulse (eigentlich offene Fragen) und persönliche Handlungsvorschläge beschrieben. Die Macht des Einzelnen will der Verfasser nicht überschätzen, aber doch nutzen. Viele entscheiden sich schon für einen bewussten Konsum, für eine Stärkung der Regionen oder für die Humanisierung der Arbeit. Man möchte seine Ersparnisse nachhaltig und fair anlegen, die Macht der großen Digitalkonzerne umschiffen und politische Veränderungen erreichen.

Schließlich gibt es für jedes Kapitel noch Tipps für die eigene Recherche und weitere Literatur.

Derzeit gibt es notgedrungen viele digitale Informationen. Es ist aber zu wünschen, dass sich wieder Menschen auch in den Kirchengemeinden treffen und austauschen können. Für einen möglichen Stammtisch "Wirtschaftsethik" wäre dieses Buch eine gute Grundlage. Und übrigens auch zur Vorbereitung der Bundestagswahl im Herbst.

Wie kann die Wirtschaft das Klima schützen? Warum bezahlt Apple in Indien nur Hungerlöhne für die Herstellung teurer Smartphones? Dürfen Banken mit dem Geld ihrer Kunden den Bau von Atomraketen finanzieren? Die Antworten auf diese Fragen mögen nicht immer einfach sein. Das größte Problem liegt jedoch darin, dass sie in der Welt der Wirtschaft kaum gestellt werden. Das wirtschaftliche Denken ist stattdessen in einem Kreislauf von Preisen, Kosten, Gewinnen, Angebot und Nachfrage gefangen, der vor allem zwei Zielen dient: Der wirtschaftliche Kuchen muss immer größer werden – und immer weniger kosten. Risiken und Nebenwirkungen werden ausgeblendet.

Dieser Text stammt von der Webseite https://www.publik-forum.de/Politik-Gesellschaft/wirtschaft-neu-denken des Internetauftritts von Publik-Forum

Wolfgang Wagner