Rede zur Kirchenwahl an die Kandidierenden

Rede des Vorsitzenden des Gesprächskreises OFFENE KIRCHE Prof. Dr. Martin Plümicke bei der Mitgliederversammlung in Esslingen am 11.10.2019.

Liebe Mitkandidatinnen und -kandidaten,
es freut mich riesig, dass wir es geschafft haben, wieder 46 Frauen und Männer (und vielleicht auch den einen oder die andere des 3. Geschlechts) in Württemberg dafür zu gewinnen, für die OFFENE KIRCHE zu kandidieren. Wir sind wieder in allen Wahlkreisen der Landeskirche vertreten (übrigens erst zum zweiten Mal überhaupt!). Das ist eine Leistung, toll!

Ein herzliches Dankeschön von mir im Namen des Vorstands und des Gesprächskreises an Euch alle! Ebenso geht der Dank all jene in den Wahlkreisen, die sich im letzten Jahr zum Teil mit viel Mühen um die Nominierung gekümmert haben. Man kann mit Fug und Recht sagen: Es war der Schweiß der Edlen wert, sonst wären wir heute nicht nicht hier!

Nun liegt die heiße Phase des Wahlkampfes vor uns. Auf die nächsten 6 Wochen kommt es an, dass wir genügend Menschen, die sich eine OFFENE KIRCHE wünschen, motivieren überhaupt wählen zu gehen - und wenn sie dann wählen, auch uns zu wählen. Menschen, die sich eine Kirche wünschen, die bunt und vielfältig ist. Eine Kirche, in der sich die traditionelle Familie mit Mama, Papa und zwei Kindern genauso willkommen fühlt wie das schwule oder das lesbische Paar oder die Patchworkfamilie in der vielleicht die Mutter ein uneheliches Kind und der Vater zwei Kinder aus seiner ersten Ehe in die neue Beziehung mitgebracht haben und nun gemeinsam ein drittes Kind haben. Das ist Gottes große vielfältige Welt, die er uns anvertraut hat.

Lassen Sie uns deutlich machen, dass es in dieser Kirche eine Gruppierung gibt (und die ist garnicht mal so klein!), die sich für sie alle interessiert, die nicht vorschreibt, welches die Lebensform 1. Klasse und welches die Lebensformen 2. Klasse oder 3. Klasse sind.

Lassen Sie uns deutlich machen: Diese Kirche ist noch nicht verloren und in der Tradition von 2000 Jahren erstarrt - nein, es gibt Menschen, die Veränderung wollen und die bereit sind, sich für diese Veränderung einzusetzen.

Wir sind mit 32 OK-Synodalen vor sechs Jahren gestartet und haben viel angestoßen und einige auch Dinge erreicht, auch wenn wir nicht einmal ein 1/3 der Sitze inne hatten.

Kirchliche  Trauung  für  alle
Das Thema, das sich die ganze Legislaturperiode durchzog war die Kirchliche Trauung für alle. Eine unsägliche Diskussion zog sich über Jahre hin, ob man überhaupt eine Segnung zulassen will, ob die Segnung der Trauung gleichwertig sein darf oder ob sie zwar gleichwertig sein soll, aber eben nicht Trauung heißen darf. Ob nur die Bibel oder auch die Bekenntnisschriften dazu etwas sagen, in wievielen Gemeinden ein solcher Gottesdienst stattfinden darf, ob die Synode eine allgemeingültige Agende dafür erlässt oder ob der OKR für jede Gemeinde, die sich für diese Gottesdienstform entscheidet, eine eigene Gottesdienstordnung erlässt.

Wir haben all diese Diskussionen durchgestanden. Die ganze Synode hätte es einfacher haben können. Wir als OFFENE KIRCHE haben  einen  Gesetzentwurf  eingebracht, der ganz einfach analog zum Beschluss des Deutschen Bundestages in der heutigen Trauordnung nur die Worte "verschiendengeschlechtlich und gleichgeschlechtlich" eingefügt hätte. Damit wäre alles klar gewesen, wir hätten homosexuelle Menschen mit hinheingenommen und gleichgestellt. Nein, stattdessen haben wir jetzt einen Kompromiss, der nur für und mit der Lebendigen Gemeinde (auch wenn viele der LG heute davon nichts mehr wissen wollen) zu Stande kam. Ein Kompromiss, den viele Homosexuelle als diskrimierend, ja als entwürdigend empfinden. Deshalb, liebe Mitkämpfende: Dieses Gesetz müssen wir so schnell wie möglich korrigieren, wir müssen den homosexullen Menschen die Kirchliche Trauung ohne Wenn und Aber ermöglichen.

Klimaschutz
Ein ganz wichtiges Ziel für die OFFENE KIRCHE war immer die Bewahrung der Schöpfung. So lange ich OK-Programme kenne (und das immerhin schon seit über 25 Jahren) war dieses Ziel immer enthalten. So haben wir als OFFENE KIRCHE auch dieses Ziel in einer Vielzahl von Anträgen in der Synode verfolgt. Als größte Erfolge sind die Erklärung gegen die Nutzung von Kernenergie und das Klimaschutzkonzept der Landeskirche zu nennen.
Aber es war ein Thema, bei dem wir oft auf verlorenem Posten gekämpft haben. Wir wurden nur bedingt ernst genommen. Das hat sich nun seit etwa 1 Jahr völlig verändert, auch in der Kirche ist der Greta-Effekt zu spüren. So hat sogar der Oberkirchenrat die Kirchengemeinden aufgefordert, am letzten Freitag im September die Friday for future-Demonstrierenden zu unterstützen und dies durch Glockengeläut um 5 vor 12 und durch eine Andacht zu untermauern.
Das kommt an, liebe Mitkandidierende. Als in Reutlingen um 5 vor 12 Tausende von Schülerinnen und Schüler vor der Marienkirche standen und die Glocken anfingen zu läuten, brandete Applaus auf, wie ich ihn für Kirchenglocken noch nie erlebt habe. Die folgende Andacht war so gut besucht wie manch Sonntagsgottesdienst nicht.

Wenn man beim Klimaschutz etwas erreichen will, muss man mutig sein, insbesondere mutiger als das was wir in diesen Tagen aus Berlin von der Bundesregierung gehört haben. Wir haben in unserem Wahlprogramm das Ziel geschrieben, bis 2035 weitgehend klimaneutral zu sein und die Landeskirche wie die Kirchengemeinden darauf zu verpflichten. Manch einer hat gefragt: Wieso verpflichten? Das haben wir im Vorstand auch diskutiert und sind zu der  Überzeugung gekommen, wenn wir es bei Appellen belassen, wird es nicht klappen. Nur die Synode als das von den Kirchengenossen gewählte Parlament hat das Recht und die Pflicht, die gesamte Landeskirche einschließlich aller Kirchengemeinden durch Gesetze auf einem bestimmten Weg zu leiten. Andersherum hat die Synode dann wieder die Pflicht, die Kirchengemeinden in die Lage zu versetzen, die Gesetze auch umsetzen zu können.

So werden wir es durch ein Klimaschutzgesetz in der Württembergischen Landeskirche, das alle verplichtet und gleichzeitig die Kirchengemeinden durch Know-How und durch Finanzmittel in die Lage versetzt, die notwendigen Maßnahmen auch zu ergreifen, schaffen, bis im Jahr 2035 weitgehend klimaneutral zu sein.

Sozialer Wohnungsbau
In den Jahren 2015/16 bis heute hat unsere Kirche in beeindruckender Weise bewiesen, dass wir eine tolle Willkommenskultur für Flüchtlinge pflegen. Ich möchte mit Fug und Recht behaupten, dass wir ohne das ehrenamtliche Engagement unserer Gesellschaft und da ganz stark durch den Einsatz von kirchlichen Gruppen, die Flüchtlingsherausforderung nicht bewältigt hätten. Gerade in diesem Sommer hört man, bei allen noch nicht gelösten Problemen, wie toll die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen ist.

Aber ein Problem bleibt: Wir haben zu wenigen günstigen Wohnraum, um unsere Neubürger auch vernünftig unterzubringen. Nun rächt sich die Privatisierung der 1990er und 2000er Jahre und der Glaube, der Markt wird es schon richten. Mitnichten, der Markt bringt nur genügend gehobene Wohnungen für die reichere Hälfte unserer Bevölkerung hervor. Die mit dem kleinen Geldbeutel konkurieren nun mit den Neubürgern um die viel zu geringe Zahl an bezahlbaren Wohnungen. Dass das sozialer Sprengstoff ist und Hassdebatten hervorruft ist allzu verständlich, wenngleich trotzdem nicht zu rechtfertigen. Aber um dem entgegen zu wirken, müssen alle an einem Strang ziehen und günstigen Wohnraum schaffen, da ist auch die Kirche gefragt.  
Wir haben dazu alleine in den letzten sechs Jahren drei Anträge eingebracht, die alle vom Oberkirchenrat und der Synodenmehrheit wegen zu geringen Renditeaussichten abgelehnt wurden. Stattdessen zahlen wir heute Negativzinsen für unsere Rücklagen! Hier muss eine Kehrtwende eingeleitet werden. Hier ist Kirche gerufen, lesen wir nicht in der Bibel: "Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40)

Finanzen
Der landeskirchliche Haushalt teilt sich in zwei Teile auf, den einen für Landeskirche im engeren Sinne, aus dem die ganze inhaltliche Arbeit der Landeskirche wie Krankenhausseelsorge, Studierendenarbeit, Akademiearbeit, DiMOE, KDA usw., das DWW, der OKR und die gesamt Pfarrer*innenschaft finanziert wird, und den anderen für die Kirchengemeinden, den wir als Synode und OKR nur treuhänderisch verwalten.

Blicken wir zunächst in den landeskirchlichen Teil. Wir haben in den vergangenen Perioden unglaubliche Kürzungsrunden erlebt, die zum Teil unverfängliche Namen, wie BIKO, BIKO+, AG Zukunft Zielstellenplan hatten. Dahinter verbargen sich reine Kürzungsbeschlüsse, die mal und mal weniger intelligent umgesetzt wurden. Die OFFENE KIRCHE hat  die  Prozesse konstruktiv kritisch begleitet, mal zugestimmt, Schlimmstes verhindert, mal sich strikt ablehnend gezeigt.
Rückblickend muss man sagen, KEINE dieser Kürzungsrunden wäre nötig gewesen, denn im Jahr 2018 hatte die  Landeskirche etwa wieder die Finanzkraft wie 1995!

Diese Kürzungen haben unglaublichen Schaden angerichtet, gerade bei den Menschen, die wir gerne die Kirchenfernen nennen. Ich will heute nur den letzten Beschluss, den Zielstellenplan nennen. Er ist ein wahrer Kahlschlag bei den Sonderpfarrstellen unserer Landeskirche: z.B. wird eine Vielzahl von Krankenhauspfarrstellen gestrichen, die Arbeit mit Studierenden wird erheblich eingeschränkt, DiMOE und KDA werden so gekürzt, dass sie nur noch zentral in Stuttgart arbeiten können und die Regionen nicht mehr bedienen können. Das sind genau die Pfarrer*innen, die mit Menschen in Berührung kommen, die wir oft in unseren Kirchengemeinden nicht treffen. Hier sägt die Kirche an dem Ast auf dem sie sitzt.

Diese Beschlüssen sind teilweise noch nicht umgesetzt. Hier lässt sich noch umsteuern! Auch wenn es aufgrund fehlender Theolog*innen zwar nicht gelingen wird, jede Pfarrstelle zu erhalten. Aber das Geld für die Stellen ist da und liegt in den Rücklagen. Da lassen sich Menschen mit anderen Professionen finden, die solche Aufgaben wahrnehmen können. Auf alle Fälle darf das Geld keinesfalls in den Rücklagen bleiben, für die wir ggf. noch Negativzinsen zahlen. Es muss investiert werden. Dafür haben es die Kirchenmitglieder als Kirchensteuer gegeben.

Pfarrplan
Aus aus dem landeskirchlichen Haushalt werden alle Pfarrer*innen finanziert. D.h. wir als Synode entscheiden auch über die Anzahl der Pfarrstellen in unserer Landeskirche. Seit den 1990iger wird alle sechs Jahre ein Pfarrplan aufgelegt, der die Kürzungen der Pfarrstellen festlegt. Dies ist ein sehr schwieriges Instrument in vielen Kirchengemeinden und Kirchenbezirken, das schon viele KGR-Mitglieder demotiviert zur Aufgabe gebracht hat. Nun ist es so, um die ersten Pfarrplanrunden kamen wir nicht rum. Wir hatten zu viele Pfarrstellen, diese waren nicht mehr finanzierbar. Aber seit einigen Jahren könnten wir erheblich mehr Pfarrstellen finanzieren. Nur haben wir die nötigen Bewerber*innen nicht mehr. Kein Wunder - wenn man alle 6 Jahre in der ganzen Landeskirche von Pfarrstellenabbau redet, glaubt kein Jugendlicher mehr daran, dass der Pfarrer*innen-Beruf zukunftssicher ist.

Wir als OFFENE KIRCHE streben deshalb an, dass der Pfarrplan im Jahr 2024 (genannt Pfarrplan 2030) der letzte Pfarrplan ist und dass wir jetzt in die intensive Werbung für das Theologiestudium einsteigen, so dass wir dann 2030 genügend Bewerber*innen haben, um keine weiteren Pfarrstellen mehr kürzen zu müssen.

Finanzen der Kirchengemeinden
Die anderen 50% sind die Gelder für die Kirchengemeinden. Da kämpfen wir Jahr für Jahr mit dem OKR, wieviel Geld den Kirchengemeinden zur Vefügung gestellt wird und wieviel Geld in die Rücklage der Kirchengemeinden bei der Landeskirche wandert. Wir als OFFENE KIRCHE fordern seit über 10 Jahren, die Kirchengemeinden an den Mehreinnahmen der Kirchensteuer zu beteiligen. Jahr für Jahr lehnt die Mehrheit der Synode von  LG, EuK und KfM im Einvernehmen mit dem OKR eine Erhöhung der Auszahlungen an die Kirchengemeinden ab. Dieses Jahr, im Wahljahr, kommt die Lebendige Gemeinde in der Sommersynode mit dem Antrag, die Auszahlung um einen Prozentpunkt von 3 auf 4% zu erhöhen. Wenn das kein Wahlkampfmanöver ist. Aber gut, lieber spät als nie wir stimmen dem Antrag natürlich zu.

Das ganze Geschachere ist unwündig. Wir vertreten die Ansicht, das Geld der Kirchengemeinden gehört auch den Kirchengemeinden. Die Existenz einer Rücklage der Kirchengemeinden bei der Landeskirche, auf die die Kirchengemeinden keinen Zugriff haben, passt einfach nicht mehr in die Zeit. Das ist vielleicht königlich-württembergisch, aber keinesfalls 21 Jahrhundert. Deshalb fordern wir als OFFENE KIRCHE, den Kirchengemeinden die volle Hoheit über ihre Finanzmittel einzuräumen und keine Mittel zurückzuhalten.

Demokratie  und  Rechtsstaatlichkeit
In vielen Staaten Europas ist die Demokratie in Gefahr. Ganz so weit würde ich noch nicht gehen, aber Wachsamkeit ist geboten. Da haben wir als Kirche eine Verpflichtung, uns den Menschen, die die Axt an unsere Systeme legen wollen, mit Vehemenz entgegen zu stellen und unsere Demokratie, die uns über Jahrzehnte in Mitteleuropa Frieden, Freiheit und Wohlstand garantiert hat, zu verteidigen. In vielen Reden sprechen dies zu Recht unsere Politiker und Kirchenvertreter an.

Wenn ich aber unsere Kirchenvertreter und auch die Vertreter der katholischen höre, geht es mir immer so, dass ich denke, toll, dass Ihr Euch für unsere Gesellschaft einsetzt, aber schaut auch mal in Eure eigene Organisation, wie sieht es da mit Demokratie und Teilhabe aus.

Machen wir mal ein Gedankenexperiment, jede und jeder von uns würde gewählt, wir hätten die absolute Mehrheit. Wir könnten damit erstmals seit Jahrzehnten die faktische Mehrheit der LG brechen. Das ist genau die Situation von 2011 im Lande Baden-Württemberg, als erstmals nach 60 Jahren CDU-Regierung eine grün-rote Mehrheit zu Stande kam. Winfried Kretschmann wurde Ministerpräsident und Grüne und SPD stellten alle Minister*innen.

Zurück zur Landeskirche: Nichts würde bei uns passieren. Der Landesbischof würde weiter amtieren, kein OKR würde sein Amt verlieren. Erst im Laufe von 10 Jahren würden sich die neuen Mehrheitsverhältnisse auch auf den OKR auswirken (OKRs haben eine Amtzeit von 10 Jahren). Bis dahin ist nach 6 Jahren schon die nächste Synodalwahl erfolgt, die alles wieder verändern könnte.
Liebe Mitkandidierende, so sieht Demokratie nicht aus. Wenn der Wähler*innenwille andere Mehrheitsverhältnisse will, dann muss sich dies auch sofort auf die Regierung auswirken. Deshalb fordern wir die Wahl der Oberkirchenräte durch die Landessynode als einen Einstieg in eine umfangreiche Verfassungsreform, die die Württembergische  Landeskirche zu einer demokratischen rechtsstaatlichen Landeskirche macht.

Schließen möchte ich mit dem Dank an unsere Vorsitzende Erika Schlatter-Ernst, sie stemmt dieses Jahr den ganzen Wahlkampf fast alleine. Es ist unglaublich viel zu bedenken, zu diskutieren, zu organisieren. Wir können uns, glaube ich, alle nicht vorstellen wieviel Arbeit das wirklich ist. Herzlichen Dank, liebe Erika!

Jetzt bleibt mir nur noch, uns allen einen äußerst erfolgreichen Wahlkampf zu wünschen. Wir sind 46 Kandidierende. Die Synode hat 90 Sitze, die vom Kirchenvolk gewählt werden und einen Sitz, der durch die Theologische Fakultät der Universität Tübingen besetzt wird. Wenn wir alle gewählt werden, haben wir die absolute Mehrheit! Also es lohnt sich wirklich!

Lassen Sie uns einen engagierten Wahlkampf führen, dass wir uns möglichst alle in der 16. Landessynode im neuen Jahr wiedersehen und dort für eine wahrhaft OFFENE KIRCHE streiten.