Rabenschwarzes Bündel - multikausales Ereignis!

Aus dem Albtraum von Winnenden soll der Traum eines gelingenden (Schul-)Lebens werden?

Die Boller Akademie-Tagung vom 28.-30. September 2009 hatte sich die Aufgabe gestellt, über Konsequenzen des Amoklaufs von Winnenden für Kirche und Gesellschaft nachzudenken. Wichtigstes Ergebnis der hochkarätig besetzten Veranstaltung: Es gibt Konsequenzen und allem Anschein nach eine ganze Reihe von Garanten dafür, dass Veränderungen und Impulse nicht im Sand verlaufen.

Die ersten und wichtigsten sind ohne Zweifel die Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer der Albertville-Realschule und ihr Umfeld. Sie haben einen Traum: „Aus einer sinnlosen Tat etwas Sinnhaftes entstehen zu lassen.“ Daran arbeitet auch das „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“, das betroffene Eltern zusammen mit andern begründet haben. In diesen Tagen soll eine Stiftung gegründet werden, deren Hauptziel der Kampf gegen Gewalt an Schulen sein wird. Auf dem Weg zur Stiftung wie auch sonst im durch die Ereignisse vom 11. März ausgelösten Prozess war und ist Kirche – vor allem ihre seelsorgerliche Kompetenz – gefragt: Eine echte Herausforderung!

Begonnen hatte die Tagung „Der Amoklauf von Winnenden“ mit bewegenden Meditationen über Trauer: Was ist, wenn nichts mehr ist, wie es war? Wie können Menschen, unmittelbar Betroffene und im Seelenbeben Verbundene standhalten und das Unfassbare aushalten. Zuhören – Festhalten – Loslassen – Beten – Klagen – Zeichen - Gesten.
Dem, der nicht unmittelbar am Geschehen beteiligt war, ist ein bedrängendes Bild der Ereignisse und ein ganzes Spektrum vernetzter Hilfen am Tag der Tat und danach sichtbar geworden. Dabei wurde vielfach bestätigt, dass Polizeikräfte, Psychologen, Seelsorger, Schulverantwortliche u.v.a. hervorragend zusammengearbeitet haben und so noch Schlimmeres verhindert werden konnte. Große Ausnahme: Teile der Medien, vor allem die privaten Sender, die mit hemmungslosem Scheckbuch-Journalismus aggressiv und verletzend agiert haben. Die Vertreter des Südwestrundfunks haben sich eindeutig distanziert und wurden für ihre gute und zurückhaltende Berichterstattung gelobt. Die Frage bleibt, wie den Auswüchsen begegnet werden kann. Der Rundfunkbeauftragte der katholischen Kirche, Dr. Peter Kottlorz ist überzeugt, dass Verbraucher mehr Macht haben, als ihnen bewusst ist. Mindestens für die öffentlich-rechtlichen Medien gilt: Wer sich meldet, wird in der Regel gehört!

Insgesamt hat jene Schülerin Recht: Es gib nichts Gutes, das nicht verbessert werden könnte! Und darum sollte es dann vor allem gehen. Wie kann möglicherweise etwas verhindert, wo kann  etwas besser gemacht werden? Das ist auch das zentrale Anliegen der Expertenkommission, die am 30. September 2009 ihren Bericht der Öffentlichkeit präsentierte. Der Vorsitzende Dr. Udo Andriof erläuterte in Bad Boll die wesentlichen Punkte: Auch wenn es keine hinreichende Sicherheit gegen Amoktaten gebe, sei es eine Verpflichtung gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen, Risikofaktoren zu reduzieren und Schutzfaktoren zu stärken.

In der Prävention geht es vor allem darum, vom Kindergarten an auf eine Kultur des fairen Miteinanders hinzuwirken und die bestehenden Angebote wie Schulpsychologen, Gewaltpräventionsberater, Suchtbeauftragte, Schulsozialarbeit und Schulseelsorge zu stärken. Amoktaten haben meist eine - oft sehr lange - Entwicklungsgeschichte, sagt Prof. Britta Bannenberg. Also kommt es darauf an, die Warnsignale zu erkennen und eine Kultur des Hinschauens zu entwickeln. Gewalt fasziniert und wird auch medial vermittelt und geübt. Das wird am besonders am Spiele-Markt deutlich! Die Experten wollen die Medienkompetenz stärken und die Strafbarkeit von Gewaltspielen ausdehnen. Die Verfügbarkeit gefährlicher Waffen muss reduziert werden – für die Mehrheit der Tagungsteilnehmer war ohnehin schwer nachzuvollziehen, wieso es so viele Menschen mit so vielen (großkalibrigen) Waffen geben kann.

Jetzt wird die Landtagskommission die Vorschläge sichten und in Beschlussanträge verwandeln. Die Versprechen klangen glaubwürdig, die Absichten sind ernsthaft. Dennoch gab es bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung Zweifel, ob mit den vorhandenen Kräften die notwendige Kultur der Anerkennung, Wertschätzung, Förderung und Achtsamkeit vor allem an Schulen geschaffen und weiterentwickelt werden kann. Oberkirchenrat Werner Baur fordert: Wir brauchen eine neue Schule! Kinder brauchen Zeit und Räume, Begleitung und Aufmerksamkeit. Wie kriegen sie die? Und wie verträgt sich diese Forderung mit jener anderen nach einem auf Effizienz,  Konkurrenz und messbarer Leistung ausgerichteten Bildungssystem?

Der Vorhang zu, die Tagung zu Ende und alle Fragen offen? Nun ja, vielleicht nicht ganz: Denn es waren viele, für die Verantwortlichen unerwartet viele, die an der Tagung teilgenommen haben: ein Netzwerk unterschiedlichster Kompetenzen. Und die Tagung hat die Entschlossenheit gefördert, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten auf vielen Ebenen etwas zu tun, damit aus dem Albtraum von Winnenden und dem Traum der Schulgemeinschaft der Albertville-Realschule Leben wird: „aus einer sinnlosen Tat etwas Sinnhaftes entstehen zu lassen“.


Weitere Berichte und Dokumente: www.ev-akademie-boll.de