OK-Mitgliederversammlung 2017
Die Jahres- und Mitglieder-Versammlung der OFFENEN KIRCHE 2017 hat am 1. April 2017 in Stuttgart den OK-Vorstand gewählt.
Die Mitglieder des Vorstands wurden zum großen Teil in ihrem Amt bestätigt, für den ausgeschiedenen Ralf Häusler wurde Matthias Hestermann neu in den Vorstand gewählt.
Auf dem Foto sind zu sehen: v.l.n.r: Uli Maier, Johannes Dürr (Rechner), Renate Lück, Wolfgang Ristok, Ruth Bauer, Martin Plümicke, Gerlinde Hühn, Erika Schlatter-Ernst (Vorsitzende), Matthias Hestermann und Dieter Hödl (stellv. Vorsitzender). Es fehlen Gerhard Schubert und Harald Kretschmer.
"Für Toleranz - gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Wie begegnen wir Menschen muslimischen Glaubens?"
Am Nachmittag der OK-Jahresversammlung 2017 referierten PD Pfr. Dr. Albrecht Haizmann, Geschäftsführer der ACK Baden-Württemberg, und Yassir Eric, Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen an der Akademie für Weltmission.
Gegensätzlicher konnten die beiden Vorträge nicht sein.
Dr. Haizmann wollte zur Frage "Mission unter Flüchtlingen?" zuerst einen positiven Begriff von Mission, damit sich nicht die negativen Reizworte aus der Vergangenheit einschleichen. Denn: "Das Christentum ist die Botschaft davon, dass Gott nicht nur Boten sendet, sondern selbst Sendung ist: Weg, Wahrheit, Leben - aus Liebe und in Liebe." Mission gehe nicht von der Kirche aus, sondern von Gott - und habe nicht die Kirche, sondern die Welt im Blick. "Die Kirche ist nicht der Zweck, sondern ein Mittel der Sendung." Mission sei Auftrag und Verpflichtung, aber auch Verheißung. "Diese Sendung ist immer Zeugnis in Wort und Tat, Glaubenszeugnis und Lebenszeugnis. Diakonie, Politik, Entwicklungszusammenarbeit und Dialog gehören dazu wie Streitgespräch, Verkündigung und Katechese."
Mission betreffe die ganze Christenheit, es sei ein ökumenisches Thema. In der Präambel der Charta Oecumenica steht: "Im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort in der Heiligen Schrift und herausgefordert zum Bekenntnis unseres gemeinsamen Glaubens sowie im gemeinsamen Handeln gemäß der anerkannten Wahrheit wollen wir Zeugnis geben von der Liebe und Hoffnung für alle Menschen." In gleicher Weise verpflichten sich die Christen zum gemeinsamen politischen, entwicklungspolitischen und sozialen Engagement; zum Einsatz für die Versöhnung der Völker und Kulturen und für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, damit verbunden zur Vertiefung der Gemeinschaft mit dem Judentum, zur Pflege der Beziehungen zum Islam sowie zu Begegnungen mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Pluralität, Menschenrechte und Religionsfreiheit gehören zusammen, so Haizmann.
Ein Pluralismus - aus Prinzip vertreten - darf nur durch das Wort und durch Überzeugung im Gewissen weitergegeben werden, ohne Gewalt oder Gewissensherrschaft, sondern in aller Freiheit und Freiwilligkeit. Da die Menschen immer aus ihrer Perspektive sehen, hören und verstehen, werde das Wort der Wahrheit immer unterschiedlich auf- und angenommen. Daher sei diese Vielfalt zu bejahen, denn es gebe keinen neutralen Standpunkt. Die Globalisierung konfrontiere uns neu damit, dass Glaube öffentlichkeitswirksam ist. Er werde beliebig, wenn die religiöse Gewissheit sozial irrelevant oder privatisiert werde.
"In Liebe die Wahrheit sagen" sei die Formel, das Evangelium respektvoll zu bezeugen. Die Bezeugung müsse in ihrer Form dem Inhalt des Evangeliums entsprechen. Im Dokument "Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt" empfehlen der Ökumenische Rat der Kirchen, der Päpstliche Rat für Interreligiösen Dialog und die Weltweite Evangelische Allianz einen Verhaltenskodex in christlicher Mission im Neben- und Beieinander unterschiedlicher Konfessionen, Religionen und Missionsverständnissen, u.a. "von Respekt und Vertrauen geprägte Beziehungen mit Angehörigen anderer Religionen aufbauen".
Zur konkreten Situation in Aufnahmestellen, Hilfseinrichtungen und Wohnheimen für Geflüchtete sagt Haizmann: "Nur eine konsequente, tabulose Offenheit für die religiöse Dimension mit ihren komplexen Konstellationen der Beteiligten hilft zu verstehen, dass und wie hier Mission am Platze ist." Nachdem bei den vergangenen Fluchtschüben das Asylgesetz immer nur verschärft und kein Einwanderungsgesetz beschlossen wurde, gebe es nun eine beängstigende gesellschaftliche Spaltung und gefährliche Zerreißprobe in der EU, wodurch weltanschauliche Gräben aufbrechen. Ohne die Hilfe der Religionsgemeinschaften und anderer Ehrenamtlichen waren die staatlichen und kommunalen Stellen heillos überfordert. "Völlig an der Realität (und am Grundgesetz) vorbei gingen auch alle Versuche, im Interesse von 'Recht und Ordnung' die Aufnahmeeinrichtungen zur religionsfreien Zone zu erklären. Hier ist Religion im Spiel." Und zwar kompakt: Muslime, die an Moscheegemeinden vermittelt werden sollten; Muslime, die von islamistischen Gruppen umworben werden; Yesiden und andere in ihrer Heimat Bedrängte, die sich nach Freiheit und Annahme sehnen; Geflüchtete aus dem arabisch-orientalischen Raum, die auf eine Mehrheit türkischer Muslime treffen; Geflüchtete, die bewusst in einem christlichen Land Zuflucht suchten, aber auch Christen, Muslime, Yesiden, Aleviten und andere, denen ökumenische Kontakte oder interreligiöser Dialog bisher völlig unbekannt sind und unmöglich erscheinen, und Christen, die Europa als säkulare Welt und Missionsgebiet empfinden.
"Migrationsgemeinden, die in letzter Zeit geradezu explodierten, sind ihrerseits missionarisch hochaktiv. Kirchen und Gemeinden werden überrumpelt von taufwilligen Iranerinnen und Iranern." Das hätten die Kirchen ernst zu nehmen und sich nicht dem Anzweifeln der Motivation von Behörden zu beugen. "Der Staat hat die Religionsfreiheit zu respektieren und zu garantieren." Und weiter: "Es hat sich eine nie dagewesene ökumenische und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit entwickelt." Katholische und Baptistengemeinden oder Evangelische und Pfingstgemeinden finanzieren eine Stelle für einen syrischen oder persischen Pfarrer, ökumenische Glaubenskurse und Katechismen werden in vielen Sprachen aufgelegt und Bibeln in den betreffenden Sprachen sind sehr gefragt. "Was gebraucht wird, ist genau das, was in der Charta Oecumenica und im Dokument Christliches Zeugnis drin steht: Zusammenarbeit und Respekt. Wenn das umgesetzt wird, ist das nicht nur eine ökumenische Stärkung, sondern eine interreligiöse und interkulturelle Bewährung erster Güte."
Den ganzen Vortrag finden Sie hier.
Yassir Eric, geboren im Sudan, erzählte von seinen Erlebnissen, als er nach Deutschland kam, und hielt mit viel Temperament und Sprachwitz den Deutschen den Spiegel vor: "Die Deutschen reden laut mit Migranten, aber ohne Artikel und Präpositionen. Wir kommen nach Deutschland, weil wir Freiheit suchen und Begegnungen auf Augenhöhe und nicht: Wie heißen Sie und was machen Sie beruflich? Fragen Sie nach der Familie und erzählen Sie, wie Ihr Land heute ist!" Er komme aus einer sehr konservativen muslimischen Familie. Sein Großvater habe die Muslim-Bruderschaft gegründet. Sein Vater ist in der Regierung in Khartoum - eine fanatische Gruppe, "die Menschen versklavt, vernichtet und vertreibt." Mit acht Jahren wurde er in eine Koranschule gebracht, wo er in zwei Jahren 6.650 Verse des Korans lernen musste. Glaube, was zum Leben wichtig ist, und Gemeinschaft im Sinne, dass ich nicht mehr zu meiner Familie gehöre, sondern zur Umma (Mutter) loyal bin. Viele seiner Freunde seien nach Afghanistan gegangen, um die Umma zu verteidigen. "Ich war ein fanatischer Mensch und wollte Sachen für Gott tun, zum Beispiel in den Südsudan gehen und für die Islamisten kämpfen. Aber ich habe nie erlebt, dass Gott mich liebt. Christ war für mich kein positives Wort. Europa und Amerika waren Symbole für Unmoral." Aber durch eine Begegnung ließ er sich taufen. Sein Vater sagte ihm daraufhin: "Du bist nicht mehr mein Sohn." Nicht zur Familie zu gehören hieß, 2.640 Personen nicht mehr besuchen zu dürfen. "Meine Familie hat einen Sarg gebracht und mich auf dem Friedhof begraben." Er war allein. "Ich habe mein Grab besucht und habe Gott gefragt, was soll das werden? Eine Stimme sagte: Du bist traurig, du weißt aber, das Grab ist leer, und du weißt, Jesu Grab ist auch leer." 1995 habe er den Sudan verlassen, nachdem er im Gefängnis war. In Kenia studierte er und lernte eine Frau aus Korntal kennen. Danach musste er nicht nur Deutsch, sondern auch Schwäbisch lernen und erzählt von seiner Fassungslosigkeit, als seine Frau vor ihrem ersten gemeinsamen Besuch eine halbe Stunde mit ihren Eltern telefonierte, um alles zu klären. "Ich dachte, die mögen ihre Tochter nicht." Als er vom Irak-Krieg spricht, wird es wieder politisch. Die ganze westliche Welt setze ihre Waffen ein, um extremistische Gruppen zu eliminieren. "Gewalt kann nur Gewalt erzeugen", sagt er. "Boko Haram, die Shabab-Milizen und alle anderen nutzen Waffen aus Deutschland. Krieg und Flüchtlinge haben mit Politik und uns zu tun! Dieser Krieg in Syrien hat mit Rohstoffen zu tun, mit der Pipeline nach Europa, damit man vom Gas aus Russland wegkommt. Amerika, Europa, Deutschland und die Sunniten und Kurden bekommen unsere Waffen und kämpfen gegen Russen, Aleviten sowie Schiiten aus dem Iran und Irak. Deshalb kommen die Flüchtlinge, aber die meisten schaffen es nicht. Sie stranden in der Türkei, im Libanon, Jordanien und Ägypten oder sterben im Mittelmeer." Dann wechselt er das Thema und fragt: Was ist Kultur? Sprache, Theater, Musik ... Er sagt: "Kultur und Religion und wie wir miteinander darüber reden können." Er zeichnet einen Kreis mit dem Wort "Leben". "Alles dreht sich um mich. Es muss mir zuerst gut gehen. Religion ist sonntags zwischen 10 und 11 Uhr. Montags redet man nicht mehr darüber, was am Sonntag los war. Alles wird gründlich sortiert. Fußball zum Beispiel hat mit Glaube nichts zu tun."
Dann zeichnet er einen Kreis um das Wort "Glaube". Glaube als zentrale Rolle und das Leben drum herum. „Wenn man die Rolle des Glaubens ignoriert, versteht man die Menschen nicht. Ich verfolge keine Mission, sondern wenn etwas wichtig ist, sage ich es meinem Freund. Für mich ist es ein Vorrecht, in Deutschland zu leben, wo ich frei entscheiden kann. Aber im Westen ist die Religion nur ein Teil des Lebens. Für viele Migranten ist das Leben nur ein Teil der Religion. Viele suchen eine Kirche. Es muss uns möglich sein, ihnen zu begegnen. Aber wenn sie konvertieren wollen, nur damit man ihnen hilft, sage ich: Du kannst Muslim bleiben, ich helfe dir trotzdem." Beim Begegnen seien drei Dinge zu bedenken: Assimilation ("Die meisten erwarten, dass wir uns anpassen"), Parallelgesellschaft und Integration. "Keiner kommt als weißes Papier. Das meiste habe ich von meinem Vater gelernt, etwa zu helfen." Parallelgesellschaften seien für Migranten bequem. Da muss man viele Dinge nicht beachten, wie die Kehrwoche oder keinen Krach zu machen. "Als Türke in Feuerbach brauchte ich kein Deutsch. Alles ist da: Supermarkt, Restaurants, Friseur, Moschee. Warum sollte ich mich integrieren?" Das türkische Fernsehen habe allerdings auch großen Einfluss auf die politischen Meinungen. "Integration ist weder Assimilation noch Parallelgesellschaft. Da brauche ich Leute, die mir sagen, was meine Pflichten und Rechte sind. Die mir Orientierung geben und sagen, was ich machen muss, um in Deutschland zu leben." Kultur sei Prägung, Geschichte und Teilnahme am Leben. "Es ist die Strategie, das Dasein zu bewältigen. Müllbeseitigung und Kehrwoche müssen erklärt werden. Und dass Jungen nicht besser sind als Mädchen und Frauen Chefinnen werden können, darüber müssen wir kritisch reden! Nur so kann das Zusammenleben funktionieren." Die Sprache und die Bürokratie seien in Deutschland so kompliziert und das Planen für Araber so ungewohnt. Im Arabischen gibt es kein Wort für Demokratie. Aber Gastfreundschaft sei wichtig. Integration sei nicht nur, einen deutschen Pass zu haben und deutsch zu sprechen. In seiner Familie bestimmte der Großvater, was gemacht wird, auch was er studieren sollte. Wenn er beim Autofahren kontrolliert wurde, zeigte er seinen Ausweis, aus dem hervorging, wer sein Vater ist. "Scham und Ehre stehen über der Wahrheit. Deshalb gehen die Menschen für Erdogan auf die Straße."
Yassir Eric hasste einen christlichen Mitschüler so, dass er und seine Freunde ihn fast totschlugen. Er wusste damals nicht, dass Christen auch zu Gott beten. Diesen Mitschüler traf er später in Ägypten bei einer Pastorenkonferenz. "Ich habe für dich gebetet, weil du mich so gehasst hast", erklärte ihm dieser.
"Wir können immer für alle beten. Hass mit Hass zu begegnen, ist einfach. Hass mit Liebe zu begegnen, braucht mehr." Integration sei harte Arbeit. Ein Schiit und ein Sunnit in einem Zimmer und noch ein Christ und ein Konvertit dazu - da müsse man über Religionsfreiheit reden. "Ich hoffe, die Kirche ist ein geschützter Raum zum Diskutieren."
Renate Lück